Mitglieder erzählen: „Wir Glücklichen“ Dänische Südsee

in Crew Steiermark

Marstal, auf der Insel Ærø in der Dänischen Südsee, war einst Zentrum der Schifffahrt und nach Kopenhagen die zweitwichtigste Stadt Dänemarks.

Mit unserer Contest 44 segeln wir, von Norden kommend, nach Marstal. Die Zufahrt ist für eine so bedeutende Seefahrer-Stadt erstaunlich schmal. Links und rechts vom Fahrwasser gibt es Untiefen, über denen unzählige Schwäne schwimmen. Wir haben zwei Meter Tiefgang und folgen daher behutsam den Tonnen, um sicher in den Hafen zu gelangen. Gleichzeitig haben wir ein Auge auf die Fähren, die sich in großer Geschwindigkeit im Fahrwasser bewegen. Vorbei an Werften, den Anlegestellen für große Traditionsschiffe und einem Bereich für Berufsfischer, geht es in den Yachthafen. Auch innerhalb des gut besuchten Hafens kennzeichnen rote Spire, dass das Wasser an den Rändern sehr seicht ist, doch haben wir kein Problem, einen guten Liegeplatz zu finden.

Marstal lebte Jahrhunderte lang von der Schifffahrt. Hier wurden und werden Schiffe gebaut und Seeleute ausgebildet. Heute leben etwa 2120 Menschen in der, aus vielen alten, liebevoll restaurierten Fachwerkhäusern, meist einstigen „Skipperhäusern“ bestehenden, Stadt.  Rund um die Hauptstraße und dem Kirchenplatz finden sich Cafés, Restaurants, ein Gemischtwaren-Laden, wie ich ihn aus meiner Kindheit kenne, und ein Coop-Supermarkt. Fast in jedem Haus blicken aus den Fenstern zwei weiße, langohrige Hunde aus Porzellan. Das heißt: Manchmal sehen sie aus dem Fenster, manchmal in das Innere der Räume. Ursprünglich brachten Seefahrer diese Hunde aus einer Porzellan-Manufaktur in England nach Marstal, als Geschenk für ihre Frauen. Die Hunde sollten das Haus in der Abwesenheit der Seemänner bewachen. Blickten sie ins Innere des Hauses, war der Kapitän zu Hause, blickten sie nach außen, war er auf See. Der Erzählung nach, war es dann auch ein Zeichen für den einen oder anderen Freier, dass „die Luft rein war.

            Unweit des Hafens befindet sich das beeindruckende und sehr umfassende Schifffahrtsmuseum, in dem unzählige Schiffsmodelle, Fotos und Gebrauchsgegenstände über die einstige Bedeutung des Schiffsbaus in Marstal und der Geschichte der Seefahrt erzählen. Das Museum beherbergt auch die bedeutendste Gemäldesammlung des berühmten Marinemalers Jens Eric Carl Rasmussen, der 1841 auf Ærø geboren wurde. 

Spätestens seit 2006 und der Veröffentlichung des Roman von Carsten Jensen „Wir Ertrunkenen“ ist Marstal auch außerhalb Dänemarks ein Begriff. „Wenn man den Roman gelesen hat, versteht man die Menschen der Insel besser“, sagt die Dame an der Museumskassa, die einst „wegen der Liebe“ aus Italien hierher auf die Insel im Norden gezogen ist.  „Das Meer hat den Frauen immer wieder die Männer geraubt, deshalb hassen sie es. Zumindest im Roman.“ Der Französische Filmemacher und Maler Luc Perez hat sich ebenfalls vor kurzem auf der Insel angesiedelt und einen Ausschnitt aus  „Wir Ertrunkenen“ als preisgekrönten Animationsfilm aufbereitet. Wir haben Glück: Im Kulturhaus, „Det røde pakhus“, das sich in der Nähe der Anlegestelle für Traditionsschiffe befindet, wird der Film  in Anwesenheit des Künstlers gezeigt. Der Saal füllt sich vor allem mit Inselbewohnern. Es ist ein ganzes Kollektiv an KünstlerInnen, die regelmäßig im Kulturhaus ausstellen oder Veranstaltungen planen. Man ist stolz auf den Roman, auf die Geschichte Marstals, auf den Filmemacher und alle neuen und gebürtigen, kreativen Bewohner der Insel. Auf die örtliche Navigations-Schule offenbar nicht mehr so wie einst: „Die klugen Schüler gehen nach Svendborg, die weniger intelligenten nach Marstal“, erklärt einer der Maler und wirft einen abfälligen Blick auf ein paar Jugendliche, die in Camouflage-Anzügen durch den Hafen schlendern. Andere üben in der Hafeneinfahrt auf einem kleinen, traditionellen Segelschiff Wende und Halse. Es ist Mitternachtssonne und noch lange hell. 

Am nächsten Tag fegt ein heftiger Sturm mit über 30 Knoten in den Böen über die Insel und kein Schiff verlässt den Hafen. Das Meer vor Marstal ist grau und schaumbekrönt. Die Yachten schaukeln wild im Hafen, Äste brechen von den Bäumen. Demütig ist man daran erinnert, wie viele Gemälde im Museum Stürme und den Untergang von Schiffen dokumentieren und wie viele Männer Marstals von den oft weiten Seereisen nicht mehr zurückkamen.

Eine Yacht hatte bei uns festgemacht. Die drei Deutschen Segler in ihren 60ern scheinen nicht viel Segel-Erfahrung zu haben und erfüllten unsere Bitte nach einer  „Landleine“ nur unwillig. Heute wollen sie trotz hoher Wellen hinter der Hafenmole wieder los. Einerseits sind wir froh, andererseits auch etwas besorgt „Sie wollen wirklich fahren? Jetzt? Wohin?“ „Ach, nach Svendberg, Svandborg oder so. Vielleicht.“  Gerade in Marstal, vor der Geschichte dieses Ortes, blicke ich der deutschen Yacht fassungslos und ungläubig nach, wie sie sich stampfend aus dem Hafen kämpft und hinter der Hafenmole verschwindet.

Dann fällt mein Blick auf eine Konzertankündigung des Iris Pub „Today!“ Aber kein Datum.

Das ist verwirrend. Dennoch betreten wir das gut besuchte Lokal. „Is today „today“? frage ich den Wirt. „Wenn auf dem Plakat „Heute“ steht. Dann ist es „Heute“, antwortet der Wirt, während er mir schmunzelnd ein Glas Bier auf die Theke stellt. Marstal, ein Ort, in dem sich „Fremde“ rasch daheim fühlen. Wir zumindest.

Doch nachdem sich am nächsten Morgen der Sturm gelegt und das Meer wieder beruhig hat, setzen auch wir dankbar, ehrfürchtig und beglückt unsere Segel, um eine weitere Insel im Dänischen Süden zu erkunden und um eines Tages wieder hierher zurückzukommen. Zumindest haben wir das vor.


 

 

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