Gerade erst im Oktober 2023 schaffte es der spektakuläre, schwere Schiffsunfall zwischen der "Verity" und "Polesie", südlich vor Helgoland, in die Hauptnachrichten. Der Seenotrettungskreuzer HERMANN MARWEDE war OSC (On-Scene Coordinator) bei einer der größten Such- und Rettungsmaßnahmen des vergangenen Jahrzehnts. Wir haben sie besucht.
Während im Juni der Süden Deutschlands und Österreich mit Starkregen und Überflutungen kämpfte, nistete sich genau in der Segeln-Spezial-Woche „Friesische Inseln“ ein Trog im Norden ein. Dieser brachte stürmischen Wind und Kälte. Während der Hafentage besuchten wir daher den Seenotrettungskreuzer HERMANN MARWEDE auf Helgoland. Der Wind pfeift uns um die Ohren, als wir die steile Gangway besteigen. Dort werden wir von einem der sechs wachhabenden Seenotretter begrüßt und rasch auf die Brücke gelotst – da ist es sofort bedeutend wärmer und man kann einen fabelhaften Blick von oben auf den Helgoländer Hafen werfen.
HERMANN MARWEDE: Die größte Einheit der DGzRS
Die HERMANN MARWEDE ist der größte, rein für Seenotrettungen gebaute, Kreuzer seiner Art und wurde, so wie alle Rettungseinheiten, von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, (DGzRS – Die Seenotretter) speziell dafür entwickelt. Die DGzRS ist der hoheitlich zuständige maritime Such- und Rettungsdienst für die deutschen Gebiete von Nord- und Ostsee. Der gesamte Betrieb der insgesamt 60 Rettungseinheiten, verteilt auf 55 Stationen, wird seit Gründung der DGzRS im Jahr 1865 rein spendenfinanziert durchgeführt. Von rund 1000 Rettungsleuten üben ca. 80 Prozent davon ihre Aufgabe rein ehrenamtlich aus. Seit ihrem Bestehen haben die Seenotretter weit mehr als 86.000 Menschen aus Seenot oder drohender Gefahr befreit. Das Schiff ist nicht nur eine Art schwimmender Rettungswagen und Einsatzleitstelle vor Ort, sondern erfüllt eine Vielzahl an Aufgaben, wie wir im Rahmen unseres Besuches kennenlernen dürfen.
Der Blick auf die Brücke
Vorne steuerbordseitig sitzt der Schiffsführer, backbordseitig am Radar ein Nautiker. Die Steuerung der Maschine ist im hinteren Teil der Brücke positioniert, die sehr geräumig ist und Platz für einen weiteren Nautiker und den Maschinisten bietet. Bei Bedarf ist es möglich den Maschinenraum von der Brücke aus zu steuern und von hier aus werden auch ein Kran und Winden bedient. Zusätzlich befindet sich zentral die Position, welche die Einsatzleitung vor Ort, zusammen mit der von der DGzRS betriebenen deutschen Rettungsleitstelle See in Bremen, übernimmt (international Maritime Rescue Co-Ordination Centre, kurz MRCC genannt). Eine große Karte des Seegebietes Deutsche Bucht liegt auf dem Tisch, viele Lautsprecher, um die Funkverbindungen abzuhören, sowie die Monitore für das elektronische Karten- und Informationssystem ECDIS geben einen maximalen Überblick.
Bis zu acht Einsatzkräfte, fest angestellt und ehrenamtlich, in zweiwöchigen Schichten
Das Schiff, als auch das Tochterboot, welches wir später noch zu sehen bekommen, wird von bis zu acht diensthabenden Einsatzkräften bedient. Die Crew setzt sich aus fest angestellten und ehrenamtlichen Mitarbeitern zusammen, welche bei Bedarf die Spitzen ausgleichen. Die Männer und Frauen leben und arbeiten rund um die Uhr auf der HERMANN MARWEDE wobei eine Schicht zwei Wochen dauert. Der Seenotrettungskreuzer fährt jede Woche nach Cuxhaven um Brennstoff zu bunkern, Vorräte aufzufüllen und Teile der Crew zu tauschen. Durch ihre Höhe und den dennoch geringen Tiefgang von 2,80m ist die HERMANN MARWEDE recht toplastig. Dies ist durchaus beabsichtigt, denn wie alle Einheiten der Seenotretter ist auch die HERMANN MARWEDE als Selbstaufrichter konstruiert. Sollte einmal der extrem seltene Fall eintreten, dass das Schiff kentert, bringt es sich von alleine wieder in aufrechte Position.
Von der Brücke aus kommt man in die Messe, gleich rechts, auf der Steuerbordseite hat der diensthabende Schiffsführer, der Vormann genannt wird, sein Office mit zahlreichen Kontrollmonitoren. Wir werden von den Crewmitgliedern in der Messe sehr freundlich empfangen, bevor es noch eine Etage tiefer auf das Hauptdeck, auch SAR-Deck genannt (SAR steht für Search and Rescue, Suchen und Retten), geht.
Bordhospital und kein Lazarettschiff – Erste Hilfe auf See – mit bestmöglicher Ausstattung
Wir stehen plötzlich im Bordhospital, welches bis zu drei Schwerverletzte gleichzeitig aufnehmen könnte. Im direkt anschließenden Mehrzweckraum kann eine größere Anzahl in Sicherheit gebrachter Schiffbrüchiger aufgenommen werden – Einsätze, die Gott sei Dank selten vorkommen. Es ist aber schon beruhigend zu wissen, welche Kapazitäten möglich wären. Unser Guide, der selbst Rettungssanitäter ist, kann hier besonders brillieren. So spricht er über das große Platzangebot, welches das Bordhospital bietet und erklärt die möglichen Einsatzbereiche des Schiffes. Die HERMANN MARWEDE ist kein Lazarettschiff, also findet man alles, was in einem klassischen Rettungswagen zu finden ist. Ziel ist es, schnell erste Hilfe leisten zu können, um in Folge einen raschen Transport ins nächste Krankenhaus zu organisieren. Nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist, dass das Bordhospital auch eine Isolierstation ist. So gehört es auch zu den nicht ganz so seltenen Aufgaben des Seenotkreuzers, Seeleute mit Infektionskrankheiten abzutransportieren. Dazu kann man das Bordhospital mit einem Schott isolieren.
Flexible Maschinen und eine Wasserförderpumpe, die einen Vortrieb von sechs Knoten erreichen könnte
Vom SAR-Deck geht’s weiter in den Maschinenraum. Wohlig warm ist es hier. In einem Kontrollraum können zwei Maschinisten im Bedarfsfall die Maschinen überwachen. Das ist zwar nicht immer nötig, da man alles auch von der Brücke steuern kann, bei schwerer See ist es aber aufgrund der tiefen Position nicht unangenehm, sich hier aufzuhalten. Die HERMANN MARWEDE hat drei Maschinen und Schrauben und kann so auf über 9000 PS zurückgreifen. Die dritte Schraube ist etwas kleiner, bei Bedarf wird diese Dieselmaschine für die jeweiligen Einsätze freigestellt. Zentral dahinter befindet sich die Wasserförderpumpe, mit der man die Löschmonitore für die Feuerbekämpfung versorgt. Diese Pumpe könnte so einige Kapazitäten von städtischen Berufsfeuerwehren schlagen. Um sich die Dimensionen vorstellen zu können: alleine mit den Löschwassermonitoren kann man einen Vortrieb von sechs Knoten erreichen.
Manche Schiffe haben Töchter: hier heißt sie VERENA
Vom Maschinenraum geht es wieder auf das Hauptdeck,, wo das Tochterboot VERENA verstaut liegt. Die unmittelbare Lebensrettung erfolgt oft von diesem hochmobilen Boot mit einer Länge von ca. 12 Metern. Dazu müssen die Rettungskräfte erst in Ihre Kälteschutzanzüge und dann eine steile Schräge entlang, hinein in das Tochterboot. Im Einsatzfall öffnet sich eine große Klappe am Heck – dann gleitet VERENA über eine Rampe ins Wasser. Mit einer Aufholanlage ist es möglich, das Tochterboot nach einem Einsatz wieder in der Heckwanne der HERMANN MARWEDE aufzunehmen. Einmal um die Ecke, wieder auf Höhe des Maschinenraumes, kommt man zur Rescue-Zone. Drei schwere Schotten würden die Übernahme von Verunfallten auf Wasserlinie ermöglichen, keine einfache Übung, wenn das angelegte Boot zwei Meter auf- und abtanzt. Besser ist es hier, VERENA wieder aufzunehmen, sollte keine neue Ausfahrt nötig sein. Über das Hauptdeck kann man dann die Schiffsbrüchigen direkt in das Bordhospital verbringen.
Danke für die interessante Tour und den unschätzbaren Dienst, den das gesamte Team der SEENOTRETTER tagtäglich für Seeleute leistet!
Unsere Tour endet nach gut zwei Stunden und wir werden über das Hubschrauberarbeitsdeck, welches auch das Auf- und Abwinschen von Personen oder Ausrüstung durch Helikopter ermöglicht, von der HERMANN MARWEDE verabschiedet. Da die DGzRS ein Verein ist der keine staatlichen Zuschüsse erhält und ausschließlich durch Spenden die umfangreiche Flotte erhält, bedanken wir uns für die Gratisführung mit einer Spende.
Wenn auch ihr euch für die Arbeit der Seenotretter interessiert, sei euch deren Webseite www.seenotretter.de ans Herz gelegt. Spenden können gerne an das Spendenkonto bei der Sparkasse Bremen DE 36 2905 0101 0001 0720 16 überwiesen werden.